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Die Jahreszeiten – in unseren Häusern und in uns selbst

Wenn wir in unseren Häusern nach den Betriebsferien wieder öffnen, geht das weit über die schlichte Wiederaufnahme der Arbeit hinaus. Vielmehr geht da ein Prozess der Erneuerung und des Nachdenkens über die Bedeutung von Gastfreundschaft zu Ende. Des Nachdenkens über den Wert dessen, was wir behalten wollen. Und über das, was nutzlos bleiben wird.

Wie halten wir es mit den Jahreszeiten? Unsere Häuser in den Bergen sind saisonal geöffnet, was auch uns alle, die wir dort arbeiten, dem Rhythmus der Jahreszeiten unterwirft. Im Posta Marcucci in der Toskana dagegen herrscht fast das ganze Jahr über Betrieb. Ich sage „fast“, denn dort praktizieren wir eine Art Winterpause. Das funktioniert ein bisschen so wie die Brache in der Landwirtschaft: Sobald Weihnachten und Neujahr vorbei sind, kommen wir zur Ruhe – um dann mit frischer Kraft neues Saatgut auszubringen.

Doch ganz gleich, ob in den Bergen oder in der Toskana: Wenn wir in unseren Häusern nach diesen Ruhepausen wieder aufmachen, ist das ein Akt, der weit über die schlichte Wiederaufnahme des Betriebs hinausgeht. Es geht dann vielmehr ein Erneuerungsprozess zu Ende, während dessen wir immer auch über die Bedeutung von Gastfreundschaft nachgedacht haben. Über den Wert dessen, was wir behalten wollen. Und über das, was nutzlos bleiben wird. Wobei das Nutzlose – also das, was keinen ersichtlichen sofortigen Nutzen, keine Funktion besitzt – seine ganz eigene Wertigkeit besitzt.

Fast möchte ich sogar sagen: Nur das, was nicht unmittelbar eine wichtige Funktion erfüllt, ist wirklich nützlich. Ich meine damit etwa Schönheit, Zeit und Raum für Unvorhergesehenes, für Handlungen, die nicht zweckorientiert sind, aber sinnhaft. „Brauchen“ wir rosa Blütenblätter in einer Toilettenschüssel? Ist es wirklich notwendig, sich hinzusetzen, Tee zu trinken und dabei zuzusehen, wie draußen vor dem Fenster der Schnee fällt? Macht es mich zu einem besseren Menschen, wenn ich den Anblick der Rocca d’Orcia auf der anderen Seite des Tals genieße? Lohnt es sich, eine Berghütte aus dem 19. Jahrhundert in einen behaglichen, besonderen Ort wie unser Berghotel Ladinia zu verwandeln? Ausgerechnet Orange zur Basisfarbe für unser Hotel Gran Fodà auf dem Furkelpass zu machen, war das nicht ein völlig unnötiges Designexperiment? Und überhaupt das Reisen … ist das wirklich nutzbringend oder ließe sich darauf nicht auch verzichten? Und was bringt es eigentlich irgendjemandem, wenn ich eine Lärche umarme?

Es stimmt schon: Auf das Reisen und auf noch viele andere „Extras“ könnten wir im Prinzip problemlos verzichten. Auch auf das Bewundern eines Kunstwerks. Doch diese vermeintlich „nutzlos“ verbrachte Zeit hat in Wirklichkeit einen enormen Nutzen für uns. Und einen Wert, wie ihn nur diese Extras dem Leben schenken können.

Die alten Römer sprachen von otium, wenn sie die Zeit meinten, die frei war von Arbeit und Aufgaben für die Öffentlichkeit. Gemeint war eine Zeit, die man dem Nachdenken, dem Studium und der allgemeinen Kontemplation der Dinge widmete: Otium war ein privilegierter Zustand, ganz anders als sein Gegenteil, negotium, ein Terminus, der die berufliche Tätigkeit und das Wirken für den Staat beschrieb.

Wenn wir also das Reisen als solch einen Moment des otiums betrachten, als einen Moment allein für uns selbst, dann machen wir uns damit eines der größten Geschenke überhaupt im Leben.

Diese Idee des vermeintlich Nutzlosen drückt sich übrigens nicht nur im Fehlen eines Zwecks, einer Funktion aus. Sie beinhaltet auch die Suche nach jener „Überflüssigkeit“, die uns vom Zwang des unmittelbaren Ergebnisses befreit und Raum schafft über Überraschendes, für Begegnungen. Diese Leichtigkeit verleiht dem Erlebnis des Reisens einen tieferen, Sinn, ganz ohne jeden berechnenden Hintergedanken. Das Reisen wird wie befreit vom lärmenden Leben. Es ist ein Erlebnis, das ver-gibt.

Das Vergeben – oder besser, das ver-geben – eröffnet uns die Möglichkeit, unsere vier Häuser mit all jenen zu teilen, die seine Schwellen überschreiten. Eigentlich sind es sogar fünf Häuser, denn Hotel Nummer fünf ist das Haus Valentin, in dem unsere Mitarbeitenden wohnen. Was wir also tun, ist nicht nur Menschen aufzunehmen, sondern ihnen etwas mitzugeben. Das bedeutet, dass Gastfreundschaft selbst zum Geschenk wird. Wir wollen „Dienstleistung“ nicht nur als reine Ware sehen, mit der wir handeln, denn dann wären wir schnell beim rein touristischen Denken, beim schlichten Verkauf von Dienstleistung.

Wenn wir nun also unsere Bergpension, unsere Thermen, unsere Hotels nach einer Pause wieder öffnen, dann heißt das auch, dass wir uns für den Anderen wieder öffnen. Ohne Vorbehalte, aber im sicheren Bewusstsein, dass jede echte Gabe uns nicht ärmer macht, sondern im Gegenteil: reicher. Und drum nehmen wir, wenn es wieder losgeht, alle in die Arme – unsere Mitarbeitenden – alte wie neue – ebenso wie Stammgäste und Gäste, die das erste Mal zu uns kommen.

Urlaubs- und Erholungsort, wie es unsere Häuser sind, sind Übergangsorte. Es sind Orte, an denen die Menschen kommen und gehen. Das gilt für die Gäste, die nur ein paar Tage mit uns verbringen, ebenso wie für die Mitarbeitenden, die gleich ein paar Monate bleiben. Unsere Häuser sind zugleich aber auch Orte der Nähe und Vertrautheit, es sind Zufluchten ohne Beschwernis. Jede Wiedereröffnung nach den Betriebsferien ist wie ein Ritus des Übergangs, der uns dazu einlädt, nur das Wesentliche zu behalten und alles Überflüssige zu verschenken – ein wortloser, stiller Akt, der uns über den lärmenden Alltagsbetrieb erhebt.

So gesehen, bilden sowohl das vermeintlich Nutzlose also auch das Ver-Gebene das wahre Herz der Gastfreundschaft: als Raum für Schönheit und Kontemplation das eine, als freigebige Öffnung gegenüber jedem einzelnen Gast das andere. Wenn wir nun unsere Türen öffnen (die ja nie wirklich fest verschlossen waren), dann schenken wir diesem Wesenskern neues Leben. Und begrüßen leicht und anmutig den neuen Zyklus der Jahreszeiten. Einen Zyklus, der frei ist von allem, was wir nicht brauchen, aber reich gefüllt mit allen, von dem wir hoffen, dass es für uns wirklich etwas bedeuten wird.

Ich wünsche uns allen gute Jahreszeiten!

.m